Wenn sich die Natur neu erfindet – schneller als die Wissenschaft
In den Regalen der Nahrungsergänzungsmittel taucht eine neue Generation von Inhaltsstoffen auf: „funktionelle“ Pilze, adaptogene Extrakte, exotische Pflanzen oder natürliche Pigmente.
Ihr Versprechen? Mehr Energie, geistige Klarheit, stärkere Abwehrkräfte und ein längeres Leben. Doch hinter diesen klangvollen Namen – Ashwagandha, Cordyceps, Lion’s Mane, Reishi, Chaga, Schisandra – verbirgt sich ein besonderer Status: jener der sogenannten „Novel Foods“, also Zutaten, die aus wissenschaftlicher und regulatorischer Sicht noch sehr jung sind.

Was versteht man unter einem „Novel Food“
In der Europäischen Union gilt ein Lebensmittel als „novel“, wenn es vor 1997 nicht in nennenswertem Umfang verzehrt wurde. Dazu gehören:
- neu eingeführte exotische Arten
- konzentrierte oder gereinigte Extrakte
- Pilze oder Mikroalgen, die bisher nicht Teil unserer Ernährung waren
Bevor solche Produkte auf den Markt kommen, müssen sie von der EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) geprüft werden, um ihre Sicherheit zu bewerten – hinsichtlich Toxizität, Allergenität, Stoffwechsel und möglicher Wechselwirkungen.
Diese Bewertungen stützen sich jedoch häufig auf wenige Langzeitstudien am Menschen. Mit anderen Worten: Das Fehlen eines unmittelbaren Risikos bedeutet nicht automatisch, dass ein Stoff auf Dauer unbedenklich ist.
Diese neuen „Super-Inhaltsstoffe“, die den Markt erobern
Ashwagandha – das Adaptogen unter Beobachtung
Als Ikone der ayurvedischen Medizin ist Ashwagandha (Withania somnifera) heute in nahezu jeder „Stress & Balance“-Formel zu finden.
Obwohl die Pflanze in Indien seit Jahrtausenden traditionell verwendet wird, gilt sie in Europa teilweise als Novel Food: Die Wurzel ist in einigen Ländern zugelassen, doch konzentrierte Extrakte oder solche aus den Blättern bedürfen einer offiziellen Genehmigung.
Studien am Menschen zeigen positive Effekte auf Stress und Schlaf über kurze Zeiträume, doch die Langzeitdaten sind noch begrenzt. Zudem haben mehrere Gesundheitsbehörden Fälle von Leberschäden im Zusammenhang mit schlecht dosierten oder minderwertigen Ashwagandha-Präparaten gemeldet.
Das „natürliche“ Image sollte nicht über die pharmakologische Wirkung hinwegtäuschen: Die enthaltenen Withanolide beeinflussen Leber und Schilddrüsenhormone – weshalb Dosierung und Qualität von entscheidender Bedeutung sind.
Cordyceps – der Pilz für Leistung
Als aufstrebender Star in den Kategorien „Energie“ und „Ausdauer“ wird Cordyceps militaris als natürlicher Booster für Sauerstoffversorgung und Vitalität beworben. Seine aktiven Verbindungen, wie die Cordyceptin, haben in vorklinischen Studien vielversprechende antioxidative und stoffwechselregulierende Effekte gezeigt.
Klinische Studien am Menschen sind jedoch noch rar und meist von kurzer Dauer. Einige vermarktete Arten – wie Samsoniella hepiali – haben zudem Diskussionen über ihren rechtlichen Status und ihre Sicherheit ausgelöst.
Obwohl Cordyceps oft als „natürlich“ gilt, handelt es sich bei den Extrakten um hochkonzentrierte Formen, die mit Medikamenten interagieren oder die Blutgerinnung beeinflussen können. Daher ist bei einer längeren Anwendung Vorsicht geboten.
Lion’s Mane – das kognitive Versprechen unter Beobachtung
Auch bekannt als Hericium erinaceus, ist Lion’s Mane heute ein fester Bestandteil vieler natürlicher Nootropika. Ihm wird die Fähigkeit zugeschrieben, die Neurogenese über den Nerve Growth Factor (NGF) zu stimulieren und so Gedächtnis und Konzentration zu verbessern.
Vorläufige Studien haben nach mehreren Wochen der Einnahme eine leichte Verbesserung der kognitiven Funktionen bei älteren Personen mit mildem geistigem Abbau festgestellt. Diese Ergebnisse sind jedoch begrenzt und müssen in größeren Studien bestätigt werden.
Sein „novel“-Status hängt von der Form ab: Der Fruchtkörper wird traditionell verzehrt, während das Myzelpulver oder hochkonzentrierte Extrakte als Novel Foods gelten.
Reishi – der neu entdeckte Klassiker
Seit Jahrhunderten in Asien verwendet, gilt Ganoderma lucidum, auch bekannt als Reishi, oft als traditionelle Zutat. Einige moderne Formen wie standardisierte Extrakte oder getrocknetes Myzel fallen jedoch unter die Novel-Food-Verordnung.
Forschungen deuten auf immunmodulierende und entzündungshemmende Effekte hin, doch die große Variabilität der Extrakte erschwert eine verlässliche Übertragung der Ergebnisse.
Ohne Standardisierung können zwei „Reishi“-Produkte sehr unterschiedliche Zusammensetzungen aufweisen und in manchen Fällen sogar Verunreinigungen oder Rückstände von Lösungsmitteln enthalten.
Chaga – der „Pilz der Unsterblichkeit“
Inonotus obliquus, besser bekannt als Chaga, erlebt derzeit einen starken Aufschwung in funktionellen Getränken und „Anti-Aging“-Nahrungsergänzungen. Seine an Polyphenolen und Betulin reichen Extrakte zeigen ausgeprägte antioxidative Eigenschaften.
Die meisten Studien wurden jedoch in vitro oder an Tieren durchgeführt, sodass die tatsächlichen Wirkungen beim Menschen noch unklar sind. Vereinzelt wurden Fälle von Leberschäden oder Wechselwirkungen mit blutverdünnenden Medikamenten gemeldet. In Europa können Chaga-Extrakte – je nach Form und Konzentration – als Novel Foods eingestuft werden.
Schisandra chinensis – das Adaptogen aus dem Norden
Oft als „Beere der fünf Geschmacksrichtungen“ bezeichnet, begeistert Schisandra durch ihr Image von Ausgleich und Vitalität. Reich an Lignanen wie Schisandrin und Gomisin, zeigte sie in mehreren Tierversuchen leberschützende und antioxidative Wirkungen.
Einige klinische Studien deuten auf eine Verbesserung der Leberwerte bei Lebererkrankungen hin, doch die Datenlage bleibt begrenzt. Forschende betonen das Fehlen langfristiger Studien und die mögliche Gefahr von Wechselwirkungen mit Medikamenten.
Was die Wissenschaft noch nicht sagt
Trotz des medialen Hypes bleiben unabhängige Humanstudien selten, kurz und uneinheitlich. Nur wenige Untersuchungen dauern länger als drei Monate, und fast keine befasst sich mit Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Nahrungsergänzungen. Die kumulativen oder langfristigen Effekte sind daher unbekannt.
Hinzu kommen:
- eine je nach Hersteller stark schwankende Qualität (Reinheit, Lösungsmittel, Verunreinigungen)
- ein Marketing, das der Forschung oft voraus ist
- ein regulatorischer Rahmen, der mit der Innovation kaum Schritt hält
Das Ergebnis: Verbraucherinnen und Verbraucher stehen häufig vor verlockenden Produkten – die wissenschaftlich jedoch unvollständig bewertet sind.
Die richtigen Reflexe vor der Einnahme eines „Novel Food“
- Bevorzugen Sie Extrakte, die geprüft sind oder eine dokumentierte Verwendungsgeschichte haben.
- Überprüfen Sie die Rückverfolgbarkeit (Analyse durch unabhängige Labore, GMP-Zertifizierung, keine Schwermetalle).
- Halten Sie sich an die Dosierungen, die in Studien verwendet wurden, statt an jene aus Marketingformulierungen.
- Vermeiden Sie Mehrfachkombinationen von Pilzen oder Pflanzen, deren Wechselwirkungen unbekannt sind.
- Führen Sie nur kurze Kuren durch (8–12 Wochen) und beobachten Sie die Wirkung, bevor Sie fortfahren.

Fazit
Novel Foods bilden eine faszinierende Grenze zwischen Natur, Wissenschaft und Innovation.
Sie spiegeln unseren Wunsch nach Wohlbefinden und unsere biologische Neugier wider. In der Realität übersteigen ihre Versprechen jedoch oft die Belege: Die Forschung hinkt hinterher, und Vorsicht sollte jedes Experiment begleiten.
Bei KANSHA treffen wir eine andere Wahl – eine Form der ausgewogenen Ernährung, die auf bewährten, sicheren und wissenschaftlich dokumentierten Wirkstoffen basiert. Jeder Inhaltsstoff wird aufgrund seiner nachgewiesenen Wirksamkeit und seines verlässlichen Anwendungshintergrunds ausgewählt – fernab von kurzlebigen Trends und experimentellen Extrakten.
Wie in der Ernährung gilt auch hier: mit Maß testen, sich vor dem Konsum informieren und immer Konsistenz und Qualität der bloßen Neuheit vorziehen.









